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Ernest Potuczek-Lindenthal

Am 27.Januar 1987 beging in Kiel der bekannte Scherenschneider und Architekt Ernest Potuczek-Lindenthal aus Brünn inmitten einer großen Kinderschar seinen 70.Geburtstag. Seine künstlerische Berufung war ihm schon von den Vorfahren bestimmt. Er ist der Sohn des akademischen Malers und Radierers August Potuczek, dessen künstlerisches Schaffen ihn ebenso seit früher Jugend anregte wie der Einfluß der von den Musen geprägten Mutter. Einem Zufall war es zu danken, daß Ernest noch als Kind zum Scherenschnitt fand, der ihn dann sein ganzes Leben hindurch begleiten sollte.

Zunächst galt es jedoch, die 1934 begonnenen Architekturstudien zu vollenden. Mit Eifer war er Student und leitete ab dem 5.Semester auch die Architekturfachschaft der Deutschen Technischen Hochschule in Brünn. Die das Studium straffende strenge Studienordnung (1936 – 1938) ging z.B. auf ihn zurück. Im Jahre 1939 erwarb er sein Diplom; die Klausur fand während der aufregenden letzten Tage der Tschechoslowakei statt, der Abschluß in den ersten Wochen des Protektorats. Die Zeit, die er sich dem Siedlungsbau widmen konnte, war nur kurz, denn bereits im Herbst 1940 wurde er zur Wehrmacht einberufen. Vom Wolchow kam er als von Minen verwundeter Pionier zurück. Vier Jahre Lazarettaufenthalt folgten. Im April 1945 mußte der noch nicht Genesene Brünn verlassen; mit Frau und zwei kleinen Kindern erreichte er auf abenteuerlichen Wege in vier Monaten Schleswig-Holstein, die Heimat seiner Frau. Nach neuem Lazarettaufenthalt gelang ihm nach langer Arbeitssuche endlich ein Neubeginn als Architekt in Niedersachsen, ab 1948 dann in Schleswig-Holstein.

Bei Kiel bot sich ihm die Möglichkeit, eine eigene Kleinsiedlung aufzubauen. Ermutigt durch die Erinnerung an die allzeit schwer arbeitenden Vorfahren, gelang es, aus Bombentrichterland und Sumpf mit der heranwachsenden Familie so etwas wie ein eigenes Paradies zu schaffen. War der heimatliche Brünner Garten vom roten Felsberg mit dem weiten Blick geprägt, so gab hier die Nähe des schilfgesäumten Flusses, ein kleiner Bach, hohe Eichen und Büsche, den Rahmen. In gesunder Lebensweise konnten so zwölf eigene Kinder und noch drei Pflegekinder heranwachsen. Es war schwere Arbeit zu leisten; und doch fand Potuczuek-Lindenthal noch die Muße, um sich seiner Berufung, der Kunst, widmen zu können.

Hatte er schon mit 13 Jahren eine beachtliche Ausstellung mit seinen Scherenschnitten füllen können, so war er mit 23 Jahren als Scherenschneider weit über seine Heimat hinaus bekannt durch zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften, Kalendern und Büchern. Es entstanden ganze Bildreihen, z.B. 110 Scherenschnitte zu Bauernregeln, die im Verlag der Mährisch-schlesischen Heimat in Brünn und bei Alexander Duncker in Weimar erschienen, ferner Städtebilder aus Holland, Belgien, England, Wanderzeichnungen aus Siebenbürgen und den deutschen Sprachinseln der Slowakei. Dort entdeckte er auf alten Truhen denkwürdige Ornamente der Goten, sie sie sonst nur noch auf Theoderichs Grabmal zu finden sind.

Auch in der schweren Zeit nach der Vertreibung drängten Gedanken zur Verwirklichung in Bildern: die Schicksale der heimatlosen und ihrer Toten, der Wiederaufbau einer Existenz und die Erinnerung an die entrissene Heimat. Es entstanden ausdrucksstarke Bilder wie „Als Säer wir kamen in saatlose Wildnis“ und die erschütternde Viertafelgruppe „Brünner Todestanz“ (Bild des Brünner Todesmarsch) für die Brünner Stube in Schwäbisch Gmünd. Zahllose Bilder wurden geschaffen, geprägt von tiefem, seelischem Erlebnis und Vertrauen auf die Welt des Guten, gestaltet von hohem künstlerischem Können; sie gingen vor allem als Weihnachts- und Glückwunschkarten hinaus in alle Welt, ebenso schmücken sie zur Freude der Leser die Seiten von Büchern und Zeitschriften. Der Brünner Scherenschnittverlag für Wandbilder und Postkarten wurde auf Wunsch der in der Welt verstreuten Freunde der schwarzen Kunst als Verlag Haus Lindenthal wieder erneuert.

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